Nachlese zur Fraktion-vor-Ort mit Sigmar Gabriel: Die Gesellschaft der Wut

Jenseits der Wut und der Gleichgültigkeit beginnt die Kultur des Streites. Eine Lehre aus einem ausgesprochen intensiven Freitagabend mit Sigmar Gabriel zur „Gesellschaft der Wut“. Eine weitere Lehre: Wenn streitbare Personen und brennende Fragen zusammenkommen, kann und wird die SPD wieder begeistern, polarisieren, aufregen. Und dann sind Kirchen mit Hunderten von Plätzen bis zum Rand gefüllt. Sigmar Gabriel, Marat Trusov von der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz und ich durften unter der Moderation Jasmin Ashauers über die aktuelle Demokratie sprechen.

Die engagierte Beteiligung des Publikums hat deutlich gezeigt, dass wir niemals aufhören können, das Gespräch zu suchen. Das gilt gerade auch gegenüber denjenigen, die andere politische Meinungen vertreten oder die aus einem anderen sozialen Milieu kommen und eine ganz andere Lebenswirklichkeit haben als wir. Nur so können wir die abgeschlossenen Räume in sozialen Medien, in denen man immer nur mit ähnlichen Positionen wie der eigenen konfrontiert wird, aufbrechen. Stattdessen erleben wir zunehmend, dass Menschen ihre Partikularinteressen zu zentralen Fragen erheben, ohne die legitimen Argumente der Gegenseite in den Blick zu nehmen. Die Aufgabe von Volksparteien ist es dagegen, das Verbindende, die Schnittmengen in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft aufzuzeigen. Mehr Zuhören und Hinsehen, weniger Gefälligkeit im Antworten.
Unsere Gesprächsbereitschaft kann jedoch nicht grenzenlos sein. Sie muss dort enden, wo der Konsens unserer Verfassung verlassen wird. Verfassungsfeindlichen Tendenzen müssen wir uns durch unseren Rechtsstaat, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft heraus entschieden entgegenstellen. Es ist unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Brandmauer gegen rechtsextreme Aussagen nicht weiter bröckelt.

Bei allen berechtigten Sorgen über den Zustand unserer Demokratie dürfen wir jedoch das Positive nicht aus den Augen verlieren: Wir leben in einem freiheitlichen Land mit vielen engagierten Bürger*innen. Demokratie muss raus aus dem Verteidigungsmodus und rein in den Modus des Selbstbewusstseins.